„Vier gegen Einen“ - Gemeinsame Liste von FW, CDU, SPD und Grüne irritiert Pro Hungen
Die Fraktion Pro Hungen war erfreut, dass ihr Gesprächsangebot im Vorfeld der konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von allen Fraktionen angenommen wurde und man sich in gefühlt gut bis sehr guter Gesprächsatmosphäre austauschen konnte. Dabei ging es insbesondere um die Besetzung der Gremien und Ausschüsse, um Konfliktpotentiale frühzeitig zu erkennen, Kampfabstimmungen zu vermeiden und eine Ausgrenzung demokratisch legitimierter Stadtverordneter – wie zuletzt in Rabenau beobachtet – zu verhindern.
Im Rahmen dieser Gespräche wurden alle Kandidaten von Pro Hungen benannt, die sich um die vielfältigen Ämter bewerben wollten. Um Konflikte zu vermeiden, wurde seitens Pro Hungen z.B. freiwillig auf die geplante Kandidatur um den Vorsitz des Bau- und Planungsausschuss verzichtet, um die Wünsche der Freien Wähler auf dieses Amt zu berücksichtigen.
Umso überraschter zeigten sich die Stadtverordneten von Pro Hungen gegen Ende der bis dahin harmonisch verlaufenen Sitzung am 29. April, dass die Freien Wähler für die Verbandsversammlung und Verbandsvorstand der Sparkasse Hungen-Laubach einen gemeinsamen Wahlvorschlag von FW, CDU, SPD und Grünen präsentierten. Neben dem Stadtverordnetenvorsteher und Wahlleiter Karl-Ludwig Büttel (CDU) kandidierten auch alle Fraktionsvorsitzenden persönlich, um gegen die bereits im Vorfeld bekannten Kandidaten von Pro Hungen anzutreten.
Selbstredend wären die Kandidaturen als solches unproblematisch, denn dafür gibt es in einer Demokratie ein simples wie geniales Verfahren: Bei mehr Kandidaten als verfügbaren Posten, werden die Namen aller Kandidaten auf ein Wahlzettel geschrieben, die Wahlberechtigten (in diesem Fall die Stadtverordneten) wählen schriftlich und geheim ihren jeweiligen Favoriten und am Ende wird ausgezählt. Bei vier Kandidaten und drei Vertreterposten, würden folglich die drei Kandidaten mit den meisten Stimmen einziehen – das funktioniert im Kleinen bei Wahlen zum Klassensprecher ebenso reibungslos wie beim höchsten Amt des Bundespräsidenten.
Allerdings hatten die drei Fraktionsvorsitzenden Holger Frutig (FW), Norbert Marsfelde (CDU) und Christoph Fellner von Feldegg (SPD) offenbar ein Problem damit, sich diesem klaren wie einfachen Wahlprozess gegen den Kandidaten von Pro Hungen zu stellen. Insbesondere war es wohl ein unkalkulierbares Risiko, wie die Stadtverordneten der Fraktion der Grünen abstimmen würden, die für den Vertreterposten keinen eigenen Kandidaten nominiert hatten.
Daher wurde kurzfristig - nur wenige Stunden vor der anstehenden Wahl - ein gemeinsamer Wahlvorschlag erarbeitet, der durch Einbindung der beiden Stellvertreteranwärter aus den Reihen der Grünen offensichtlich auch diese Stimmen für die Vertreterposten „sichern“ sollte. Die Initiatoren dieser Liste gingen offensichtlich davon aus, dass somit alle zu vergebenen Posten zwangsläufig unter den beteiligten vier Fraktionen aufgeteilt würden und die beiden Kandidaten von Pro Hungen – Demokratie hin oder her – keine Chance haben.
Anders als in der Hessischen Gemeindeordnung vorgeschrieben, erfolgte die Wahl im Rahmen der Stadtverordnetenversammlung nicht schriftlich und geheim, sondern öffentlich per Handzeichen. Das Ergebnis war entsprechend ohne Abweichler mit 26 Stimmen für FW/CDU/SPD/Grüne und 7 Stimmen für Pro Hungen vorhersehbar. Auf den Einwand, dass dies weder ein einstimmiges Ergebnis noch ein einheitlicher Wahlvorschlag war, wurde seitens Wahlleiter auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Das Ergebnis der Wahl und die Namen der frisch gewählten Vertreter und Stellvertreter wurden bisher nicht verkündet. Und so gehen die Initiatoren der Liste wohl stillschweigend davon aus, dass sie mit diesem „Coup“ alle acht Sitze sichern konnten.
Aber so einfach funktioniert „Vier gegen Einen“ nach dem Prinzip „Winner takes all“ allenfalls noch auf dem Schulhof, wenn die Pausenaufsicht gerade nicht hinschaut. Pro Hungen erwartet, dass die gemäß Hessischer Gemeindeordnung und Kommunalwahlgesetz übliche Sitzverteilung nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren erfolgt und eine Wiederholung der Wahl trotz regelwidrigem Abstimmungsmodus nicht notwendig sein wird.
Es wäre sicherlich im Sinne aller Hungener Bürgerinnen und Bürger, dass sich die Stadtverordneten in den nächsten Sitzungen nicht mit Wahlwiederholungen und Formalitäten beschäftigen müssen, sondern um die wichtigeren Dinge kümmern können: Die Änderung der Hauptsatzung und den Beschluss über den Haushaltsplan für 2021 inkl. Hebesätze für Grund- und Gewerbesteuer. Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack über den Wahlverlauf und unnötig zerbrochenes Porzellan statt einer fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit auf Augenhöhe, welche dem Wahlergebnis gerecht wird.